Das Oldenburger Wunderhorn

Reflexionen 6

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Historische Wohntradition im Schlossgarten    Unter den Eichen von Gut Drielake   
Alte Gärten, neue Höfe


Historische Wohntradition im Schlossgarten

Zum Heidenwall (siehe Reflexionen 5) zeitgleich ein weiterer Heidenschreck: Die Leser der örtlichen Presse erfuhren dieser Tage voller Verwunderung, die erst letztes Jahr eingestellte Leiterin des Schlossgartens, Frau Trixi Stalling, sei entlassen worden. (Zeitungsberichte seit 10.2.2007, hier v.a. NWZ vom 13.2.: „Gartenchefin wegen Wohnungsstreit gefeuert“).

Die Anteilnahme in der Bevölkerung ist groß, denn Frau Stalling hatte sich bereits durch ihr kreatives Engagement einen Namen gemacht. Ihr verdanken es viele Oldenburger, darunter der Verfasser, am Tag des offenen Denkmals im September 2006 erstmals den von einer hohen Backsteinmauer umgebenen Küchengarten betreten haben zu dürfen, der als herrschaftlicher Nutzgarten bzw. als moderner Aufzuchtgarten bis dahin für den Publikumsverkehr gesperrt war. Dieser historische Ort mitten im Oldenburger Schlossgarten – derzeit hauptsächlich eine weite Streuobstwiese – soll zukünftig permanent zugänglich sein, was eine wesentliche Bereicherung der Parkanlage darstellt.
 

Der Küchengarten im Schlossgarten zu Oldenburg, mittlerer Teil, Blick nach Nordwesten. Im Hintergrund die ca. 4 m hohe Backstein-Ringmauer. Foto: Martin Teller, 10.9.2006 (FA-XXXI25).
 

Anlass der Kündigung durch ihren Vorgesetzten, den Leiter des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte (im Oldenburger Schloss) Prof. Dr. Bernd Küster, war offenbar ein Streit um die Frage, ob die Gartenleiterin im sanierungsbedürftigen Hofgärtnerhaus zu wohnen habe. Sie sollte ins Obergeschoss unter dem Dach ziehen, dessen zumeist schräge Wände nur kleine Fenster und keinen Balkon haben, während der Hauptteil des Hochparterres inklusive größtem Raum und Gartenterrasse für Ausstellungen und Veranstaltungen vorgesehen ist.

Prinzipiell ist es zu begrüßen, dass der Schlossgarten einem (Kunst)Historiker untersteht, wird damit doch die geschichtsträchtige Besonderheit des Ortes unterstrichen, was nicht der Fall wäre, wenn dieser wie eine ganz normale Grünfläche verwaltet würde. Aber auch als Fachmann für Vergangenes wird man den Bedingungen und speziell den Wohnbedürfnissen des gegenwärtigen Lebens verständnisvoll gegenüberstehen. Angestellte sind nun einmal keine leblosen Ausstellungsgegenstände, die man beliebig umsortieren kann. Wie alle Gartenpflanzen so braucht auch deren oberste Pflegerin Licht und Raum zum Gedeihen. Ob es zumutbar ist, 30 Jahre – ein ganzes Berufsleben lang und womöglich mit Familie – im Dachgeschoss eines Hauses aus dem frühen 19. Jahrhundert zu leben (1808-11 erbaut, solche Wohnsituationen nannte man in früheren Zeiten „Dienstbotenzimmer“), ist im thematischen Zusammenhang dieser Netzpräsenz allerdings nicht näher zu diskutieren.

Weiterhin ist positiv zu vermerken, dass das ganze Haus bis 2008 zum 200jährigen Bestehen des Schlossgartens gründlich saniert sein soll, was bei aller Rücksichtnahme auf die historische Bausubstanz sicherlich eine sensible Verwendung modernster Materialen und technischer Einrichtungen einschließt, möglicherweise auch größere Dachschrägenfenster. Dabei steht außer Frage, dass danach das Dachgeschoss in dem kleinen Haus in irgendeiner Weise mitgenutzt werden muss. Jeder, der mit historischen wie modernen Immobilien einigermaßen vertraut ist, weiß, wie schnell nicht genutzte, besonders nicht geheizte Räume verfallen.
 

Die zum Küchengarten gelegene Südostseite des historischen Hofgärtnerhauses im Schlossgarten zu Oldenburg. Foto: Nordwest-Zeitung, Freitag, 16.2.2007, Nr. 40.
 

Auch die Gretchenfrage der Residenzpflicht kann eigentlich nur befürwortet werden. Sicher wäre es sehr zweckmäßig, wenn die „Hofgärtnerin“ hier wohnen würde, um bei Bedarf auch nachts oder am Wochenende vor Ort zu sein (was nicht heißen würde, permanent an Haus und Hofgarten gebunden zu sein). Es mag zudem unseren romantischen Vorstellungen entsprechen, unserer Sehnsucht nach geordneten Verhältnissen, zwischen Gärtnerin und Garten eine räumliche wie ideelle Einheit herstellen zu wollen – in einer Welt, die alles andere als wohlgeordnet und übersichtlich erscheint. Aus historischer Sicht, d.h. genauer aus Sicht des Historikers, hätte die Sache aber den besonderen Reiz der „gelebten Geschichte“, was nicht mit zweckfreiem (oder allenfalls lehrreichem) „Geschichte nachspielen“ zu verwechseln ist. Vielmehr wäre eine im Garten wohnende und arbeitende „Hofgärtnerin“ die Fortsetzung einer sinnvollen historischen Tradition, nur unter modernen Vorzeichen und mit modernen Mitteln, und eben mit einer zu modernisierenden Wohnung.

Dieses gewollte Lebendighalten von Historischem, das ein Historiker gewöhnlich nicht verurteilen wird, enthält in diesem Fall aber einen grundlegenden Fehler: den der Inkonsequenz. Nicht nur der unmittelbare Vorgänger von Frau Stalling, Karl-Heinz Klima, hatte selbstverständlich das ganze Haus zur Verfügung. Das galt gewiss auch schon für die ersten Hofgärtner, Christian Ludwig Bosse und ab 1814 für seinen Neffen Julius Friedrich Wilhelm Bosse, für die und deren Familien es gebaut und unterhalten wurde. Nur als Herzog(sadministrator) Peter Friedrich Ludwig 1817 während der Renovierung seines Schlosses darin wohnte, wird der Hofgärtner das Haus einige Zeit für seinen Herrn geräumt haben.
Entweder besteht man gemäß dem historischen Hintergrund also auf voller Residenzpflicht der Gartenleiterin, dann ist dieser aber auch entsprechend dem historischen Vorbild (und nach praktischem Verstand) das ganze Haus zur Verfügung zu stellen, und zwar innen leidlich modern gestaltet, denn die früheren Hofgärtner hatten auch ein jeweils zeitgemäßes. Oder man will das Haus für Ausstellungs- und sonstige Zwecke nutzen und damit die wahre historische Tradition eines reinen Wohn- und Verwaltungsbaus stören. Dann muss die Gärtnerin aber woanders in ordentlichen Verhältnissen leben können. Der Museumsdirektor haust schließlich auch nicht in einer Nebenkammer des Schlosses.

Das Hauptproblem in der Auseinandersetzung dürfte darin liegen, Frau Stalling schon jetzt und ausschließlich ins unsanierte recht beengte Obergeschoss zwingen zu wollen, was sich bereits aus organisatorischen Gründen verbieten müsste, denn während der in diesem Jahr geplanten Renovierung könnte sie dort ohnehin nicht wohnen. Wenn man stattdessen die kulturellen Veranstaltungen in eines der Nebengebäude verlegte (oder gar ein kleines Ausstellungshaus an der Mauer im Küchengarten neu baute), bis zur Sanierung des Wohnhauses mit der Residenzpflicht warten würde und Frau Stalling danach ein modern aber rücksichtsvoll renoviertes historisches Einfamilienhaus, komplett inklusive Erdgeschoss und mit größtem Garten der ganzen Stadt Oldenburg preisgünstig zur Verfügung stellen würde, könnte sich nach Hoffnung des Verfassers der Konflikt zu beider Seiten Wohlgefallen auflösen.

* * *

Wenige Tage später meldet die Presse unter dem Titel Schlossgartenchefin darf doch bleiben (NWZ, Freitag, 23.2.2007, Nr. 46), man habe sich doch noch einvernehmlich einigen können, womit die Kündigung sowie die Klage dagegen hinfällig werden. Details waren nicht zu erfahren, aber die Hauptsache: Das Hofgärtnerhaus wird auf Landeskosten  renoviert und die Gartenleiterin anschließend dort einziehen. Dies ist ganz im Sinne des Verfassers, lässt sich nun im Schlossgarten doch weiterhin gelebte Geschichte beobachten.

* * *

Vier Monate später erfuhren die Zeitungsleser auch noch den Rest der Geschichte (NWZ, Donnerstag, 28.6.2007, Nr. 148, Stadt bekommt Schlossgarten-Museum): Im Hochparterre des Schlossgärtnerhauses werden bis Frühjahr 2008 zwei Ausstellungsräume zur Geschichte des Schlossgartens eingerichtet und der Wohn- und Bürobereich vom Museumsteil  durch eine Glaswand abgetrennt. Die Schlossgartenchefin zieht ins Obergeschoss, darf aber die Terrasse und den Küchengarten privat nutzen. Da scheint ein tragfähiger Kompromiss gefunden worden zu sein, der beiden Nutzungsansprüchen Raum lässt. Ein Gartenmuseum wird den Schlossgarten zweifelsohne bereichern.

 
Martin Teller, 17. und 23.2., 1.7.2007

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Unter den Eichen von Gut Drielake

Im Zuge der Heidenwall-Ausgrabung und der geplanten Stadthafensanierung in Oldenburg gerät der dazwischenliegende Hofplatz des ehemaligen Gutes Drielake in den Blick, der historisch, möglicherweise archäologisch und wegen des alten Eichenbestandes auch ökologisch zu interessant ist, um ihn in einer Neubebauung untergehen zu lassen. Entsprechende Gedanken hat der Verfasser in einem Rundschreiben vom 30.9.2007 an einen Personenkreis herangetragen, dessen Mitglieder aus unterschiedlichen Gründen mit der Thematik betraut sind, und deren Zusammenwirken letztlich in Stadtbildpflege mündet.

Gut Drielake im Sanierungsgebiet Alter Stadthafen
Landschaftsgeschichtlich passende Straßennamen
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit einiger Zeit werden die Bürger der Stadt Oldenburg seitens Politik und Verwaltung in die laufende Debatte zur Bebauung des Stadthafens einbezogen. Weil dazu Mitte Oktober ein städtebaulicher Wettbewerb ausgeschrieben wird, möchte ich als Historiker rechtzeitig einen Hinweis zur betreffenden Siedlungslandschaft geben, dessen Berücksichtigung bei der weiteren Geländegestaltung wünschenswert wäre. Ich habe ihn einzelnen städtischen Verwaltungsmitgliedern und Archäologen bereits im Zuge der Heidenwall-Grabung vorgestellt.

In der Nordwest-Zeitung vom 11.9.2007 erschien eine Karte, die das Sanierungsgebiet Alter Stadthafen umreißt, das ein Stück östlich über das Bahngleis bei der Huntebrücke hinausreicht. Möglicherweise noch innerhalb dieses Gebietes oder nur wenige Meter östlich davon steht ein kleiner Hain mit hohen Eichen, die das Gut Drielake umgaben. Dieser erstmals im Spätmittelalter erwähnte Einzelhof, der den Grafen von Oldenburg gehörte, wurde [Anfang] der 1990er Jahre bedauerlicherweise abgerissen, ohne dass Haus und Gründstück näher untersucht worden wären. Vor etlichen Jahrzehnten wurde unter Historikern angenommen, das Gut könnte in Zusammenhang mit dem etwa 1 km entfernten Heidenwall stehen und ein zugehöriger Herrensitz gewesen sein. Da wir bislang keinen sicheren Beleg für oder gegen diese These haben, könnten vielleicht noch im Boden vorhandene (bei Umbauten nicht beseitigte) Keramikreste Datierungsanhalte über die Gründungszeit dieses Hofes liefern, der ein wichtiger Kristallisationspunkt städtischer Entwicklung vom Mittelalter bis zur Industrialisierung war. Insofern wäre es sinnvoll, das kleine Areal mit den ohnehin schützenswerten alten Eichen in die Stadthafen-Planungen einzubeziehen und von jeglicher Bebauung auszunehmen.

Wenn der Ort unangetastet bliebe, wäre es mit einer archäologischen Untersuchung gar nicht eilig, die Stätte müsste lediglich als dafür relevant vermerkt werden. Im Prinzip mache ich hier den gleichen kostengünstigen und leicht umzusetzenden Vorschlag wie anfänglich beim Heidenwall, das Flurstück einfach als kleines Stadtgrün im Hafenbereich liegenzulassen.

Auf der beigefügten Karte von Anfang[/Mitte] der 1990er Jahre ist das jetzt verschwundene Gutshaus rot [umrahmt, ein jüngeres auch abgerissenes Wohnhaus rot] unterlegt und die Umgrenzung seiner Hofparzelle rot markiert.
 

Lageplan des abgebrochenen Gutes Drielake in Oldenburg-Drielake auf dem Gelände der ehemaligen Wagenbauanstalt, später Fa. Haniel & Co., jetzt Macco-Lager (mit ggü. dem Brief präzisierten Einträgen nach weiterer Forschung). Die historischen Hofländereien waren deutlich größer, sie reichten bis an die heutige Stedinger Straße und westlich über die Gleise hinaus. Markiert ist nur der unmittelbare Hofbereich, in dem vielleicht noch datierbare Hausreste im Boden zu finden wären. Bearbeitung von Teilen der Deutschen Grundkarte 1:5.000 Nr. 2815, -21 durch Martin Teller, 30.9./23.10.2007.
 

Bei der Gelegenheit möchte ich die dafür Zuständigen noch einmal auf meine aktuellen historisch-landschaftlich passenden Straßennamensvorschläge hinweisen und um deren Berücksichtigung bitten. Die Stadt hat sich offiziell zur Maxime gemacht und in einem Verwaltungsverfahren festgeschrieben, bei neu zu vergebenden Straßenbezeichnungen zuerst an alte Flurnamen und geschichtliche Ereignisse zu erinnern. Wie schon im Historienspiegel auf meiner Homepage dargestellt [beim Aufruf zum Schutz des Heidenwalls], habe ich entsprechend für die neue Straße um IKEA zwischen Holler Landstraße und Werrastraße den Flurnamen Wesenbrok vorgeschlagen (analog zu Ellernbrok usw.). Angesichts der geschichtlichen und archäologischen Bedeutung des in diesem Flurstück liegenden Heidenwalls wäre es aber durchaus angemessen, die Straße alternativ Am / Beim Heidenwall zu nennen. (Die Bezeichnung Heidenwallweg wäre demgegenüber ein Scherz, wäre der Wall ohne mein Engagement doch beinahe „weg“ gewesen.)
Die Haupterschließungsstraße des Flughafengeländes sollte gemäß dem wichtigsten dortigen Flurnamen Alexanderheide genannt werden, was ich hiermit vorschlage. Vor Anlage des Flughafens erstreckte sich hier eine weite „zivile“ Heide, die seit dem 17. Jahrhundert aber auch als Exerzierplatz genutzt wurde. Solche geschichtlich verwurzelten Namen sollten bei allen Oldenburgern, die an einem individuell unverwechselbaren Gesamtbild ihrer Stadt interessiert sind, auf Zustimmung stoßen.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Teller
 

Verteiler:
- Oberbürgermeister Prof. Dr. Gerd Schwandner
- Bezirksarchäologin Dr. Jana Fries
- Rats- und Bauausschussmitglieder Ursula Burdiek, Alexandra Reith, Gerd Hochmann, Hans-Richard Schwartz
- Kulturdezernent Martin Schumacher
- Baudezernent Dr. Frank-Egon Pantel
- Leiter des Amtes für Verkehr und Straßenbau Hans-Joachim Schatke
- Leiter des Amtes für Umweltschutz und Bauordnung Klaus Büscher
- Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde Friedrich Precht
- Stv. Direktor des Stadtmuseums Udo Elerd
- Bürgervereinsvorsitzende von Neuenwege Birgit Kempermann
- Bürgervereinsvorsitzender von Osternburg-Drielake Helmut Schultheiß


Oben: Das abgebrochene Wohnhaus von Gut Drielake (im Lageplan rot unterlegt), Stedinger Straße 141 a, Südost-Ansicht.
Im Hintergrund der südliche Arm der zweigleisigen Eisenbahn-Klappbrücke über die Hunte (Baujahr 1952/53). Aufnahme Herbst/Winter 1953 oder 1954.
Unten: Aus dem Nebel der Geschichte – der wohl nur selten fotografierte rückwärtige Nordgiebel und ein Teil der Westseite des viel älteren ebenfalls abgebrochenen Gutshauses Drielake (Bauernhaus, dessen einstiger Standort im Lageplan rot umrahmt), Bildausschnitt von 1954.
Fotos freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Dr. Alf Dieterle, dessen Familie in den 1950er Jahren in der Parterre-Wohnung des Wohnhauses lebte.


 

Wie sich inzwischen herausgestellt hat, liegt der alte Drielaker Hofplatz gerade außerhalb des bisher geplanten Stadthafensanierungsgebietes. Dennoch kann es nicht schaden, frühzeitig auf bedeutsame Stätten innerhalb der ausgedehnten Oldenburger Stadtviertel aufmerksam zu machen. Was wir letztlich unter den Eichen von Drielake finden würden, ist noch gar nicht ausgemacht. Wenn es keine stadtgeschichtlich bedeutsamen Funde sondern nur ein wenig Erholung in einem Kleinpark sein sollte, wäre das auch schon etwas.
In die gleiche Richtung zielen die Straßennamensvorschläge, die zu einem gefälligen weil ortsindividuell "stimmigen" Stadtbild beitragen sollen. Es sei daran erinnert, dass sich auf Flurnamen bezogene Straßennamen nicht beliebig innerhalb der Stadtteile verschieben lassen, wie das bei Personennamen meistens möglich ist. Wenn wir schon einmal das seltene Glück haben, einen echten Flurnamen oder einen wiederaufgefundenen Geschichtsort in einem Straßennamen würdigen zu können, dann müssen wir das an seiner einzigartigen historischen Stätte tun.

Martin Teller, 17. 10.2007

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Alte Gärten, neue Höfe

Nördlich des Oldenburger Wallringes wurde 2006-2008 das gesamte Areal zwischen Heiligengeiststraße, Georgstraße und Finanzamt neu beplant und bebaut. Für die dort entstandene Straße schlug der Verfasser einen historisch stimmigen Namen vor, der sich passend in das moderne Stadtbild einfügen würde: Schanzengärten.

Mitten in den einstigen Schanzengärten (grün) liegt das moderne Gebäudeensemble „Heiligengeisthöfe“ (um H). Ausschnitt aus der Karte „Oldenburg mit Umgebung 1821“, Niedersächsischer Städteatlas III (Oldenburgische Städte) A 2, hrsg. von der Historischen Kommission für Niedersachsen, Oldenburg 1961. Bearbeitet von Martin Teller, 4.2.2008. Die nachgetragenen zwei Straßennamen sind offizielle Benennungen der 1840er Jahre.
 

Brief des Verfassers vom 17. Januar 2008, Ratsvorlage für den Verkehrsausschuss der Stadt Oldenburg, der für Straßennamenbenennungen zuständig ist:

Neuer Straßenname im Neubaugebiet Heiligengeiststraße

Sehr geehrte Damen und Herren,

gestatten Sie mir einige Worte zu den im Bau befindlichen Heiligengeisthöfen, bei denen auch eine noch zu benennende Straße entsteht. Wie ich erfahren habe, wünscht der Investor wohl einen entsprechenden Straßennamen, um damit Reklame für sein Bauprojekt zu machen. Solch reinen Marketingnamen, die meist nur den Augenblick des Verkaufs oder der Vermietung im Sinn haben, sollten wir grundsätzlich sehr kritisch gegenüberstehen, wenn wir die langfristige Wirkung von Namensgebungen im Stadtbild beachten. Historisch-landschaftlich gewachsene Bezeichnungen sind immer künstlichen vorzuziehen, die niemals denselben Grad an lokaler Originalität erreichen und nur Notlösungen an „geschichtslosen“ Orten darstellen können. Das sieht die Verwaltung ähnlich und hat sich darum zum Ziel gesetzt, Flurnamen und Geschichtsbezeichnungen in Straßennamen zu erhalten.
Nun kann man aus ästhetischen Gründen nichts gegen einen Namen „Heiligengeisthöfe“ haben, weil „Hof“ stets Urbanität betont, was am nördlichen Innenstadtbereich eindeutig zutrifft. In Verbindung mit „Heiligengeist“ suggeriert der Name allerdings die historisch falsche Annahme, in dieser Gegend habe sich im Mittelalter ein „Heiligengeistviertel“ um die Heiligengeistkapelle (Lappan) befunden, dabei erstreckten sich am Ort des Neubaus bereits die außenliegenden Verteidigungsanlagen.
Ein überlieferter spätfrühneuzeitlicher Flurname nennt die damalige Gärtenlandschaft in den geschleiften Festungsanlagen Schanzengärten, und so (vielleicht mit dem schönen Zusatz „In den“) sollte die hier entstandene Straße am besten auch heißen. Man beachte die benachbarte Grüne Straße, die ebenfalls Bezug darauf nimmt. Im Schriftwechsel mit dem zuständigen städtischen Sachbearbeiter Herrn Aden habe ich als Kompromiss Schanzenhöfe vorgeschlagen, weil Hof/Hoff im Plattdeutschen eben auch Garten bedeutet. Der Investor könnte dann an der Hausfront zur Heiligengeiststraße immer noch ein Schild „Heiligengeisthöfe“ anbringen, was sich eben nur auf die heutigen Gebäude bezieht. Um historischen Flurnamen und modernen Gebäudekomplex am deutlichsten unterscheiden zu können, wäre freilich die Kombination von Schanzengärten für die Straße und „Heiligengeisthöfe“ für die neuen Häuser ideal. (Die gesamte Baulichkeit hieße dann „Heiligengeisthöfe in den Schanzengärten“).

Mit diesem Schreiben wende ich mich an Frau Multhaupt von der SPD, Frau Reith von den Grünen und Herrn Schwartz von der FDP, weil sie Interesse an stadtgeschichtlichen Belangen und an zu Oldenburg passenden Straßennamen gezeigt haben. Ich hoffe, in der CDU-Fraktion und bei den Linken ebenfalls entsprechende Ansprechpartner zu finden. Über allgemeine Unterstützung dieser fachlichen Beratung würde ich mich wie stets sehr freuen.

Man muss sich einbringen, wenn man etwas beizutragen hat, auch wenn es zuweilen einige Mühe macht. Eine demokratische Gesellschaft beruht eben auf Bürgerbeteiligung. Dem Schreiben sind noch einige Gedanken nachzutragen.

Unerwartet mag das Geständnis des berufsgemäß geschichtsbewussten Verfassers sein, private stadtbauliche Initiativen generell zu bewundern und die Schaffung neuer Baulichkeiten vielfach zu begrüßen. (Die Bewertung einzelner Bauvorhaben hängt natürlich von deren Gestaltung ab, und davon, ob sie sich stimmig in das gesamte Stadtbild einfügen, was Rücksichtnahme auf historisch Gewachsenes einschließt.) Auch ist die Namensneuschöpfung „Heiligengeisthöfe“ (nach Privatmeinung des Verfassers) durchaus schön; jedenfalls nicht so völlig unpassend wie die jungen Bezeichnungen „Burghöfe“ und „Am Cäcilienhof“ – beides historisch unkorrekte Kunstnamen, die alte Flurnamen überfahren und nur temporäre Marketingobjekte darstellen, die aber späteren Generationen dauerhaft im Stadtbild hinterlassen werden.

Hier im Norden der Altstadt gibt es zwar den historisch belegten Begriff „Außer dem Heiligengeisttor“, mit dem alles städtische Weideland außerhalb des Tores bei der Heiligengeistkapelle bezeichnet wurde. Die so benannte Gegend erstreckte sich nördlich allerdings bis zum Bürgerbusch und endete im Westen in dem Bereich, wo gefühlsmäßig die Gegend „Außer dem Haarentor“ anfing. Beide Begriffe sind reichlich ungenau und stellen keine Lokalität, keinen Flurnamen im engeren Sinn dar, wie zum Beispiel der Melkbrink, auch keinen „Hof“ im Sinne von Garten, wie die mittelalterlichen Höfe von Bürgern und Geistlichen auf dem Ehnernesch, worunter hier natürlich kein Bauernhof oder Stadthof zu verstehen ist, die es in dieser früher fast gebäudefreien Gegend nicht gab.
Dagegen hält der nach Schleifung der Wälle aufgekommene Flurname Schanzengärten die historische Landschaftssituation zu Beginn des 19. Jahrhunderts fest, worauf bereits der verstorbene Straßennamenexperte Friedrich Schohusen aufmerksam gemacht hat. (Die Oldenburger Straßennamen, Band 1, Oldenburg 1977, Artikel Grüne Straße, S. 96-97.) Um diesen originalen und originellen Flurnamen im Stadtbild zu erhalten, hat der Verfasser ihn als Straßennamen vorgeschlagen. Bekanntlich war Oldenburg rings um den Innenstadtkern von später abgetragenen und bebauten Schanzen umgeben, die besonders nach Norden eine ausgedehnte Fläche einnahmen. In dem hier entstandenen Viertel befinden sich eine Reihe bedeutender öffentlicher und privater Bauten – Peter-Friedrich-Ludwigs-Hospital, Wallschule, St. Peter-Kirche, Pius-Hospital, NWZ-Hochhaus, Garnisonkirche, ehem. Lehrerseminar (Staatshochbauamt), Finanzamt, Kaufhaus CCO, Stadtmuseum –, die dazu beitragen, Oldenburg ein individuelles Gesicht zu geben. Solche Individualität wünscht man sich auch bei unseren Straßennamen, die, wenn sie sich von typischen Straßennamen anderer Städte oder von überall möglichen reinen Kunstbezeichnungen unterscheiden wollen, eben Bezug auf unsere Geschichte und hier gewachsene Namen nehmen müssen. Ein Straßenname „(In den) Schanzengärten“ passt zu den benachbarten Wallanlagen, dem gliedernden Grüngürtel um die Altstadt, der sich großer Wertschätzung erfreut. Die Thematik „Umwandlung militärischer Schanzen in bürgerliche Gärten“ passt auch allgemein zur Gartenstadt Oldenburg, berücksichtigt gleichzeitig ihre Geschichte als Festungsstadt und ihr architektonisch bedeutsames Wachstum im Verlaufe des 19. Jahrhunderts.

Übrigens hatte der Verfasser im Schriftwechsel mit der Stadt Sommer 2006 mehrere geschichtlich passende Straßenbezeichnungen erwogen (etwa einen Bezug zum ehemals benachbarten Neuen Haus, einstige Gastwirtschaft, heute dort das Finanzamt) und vorgeschlagen, hier zwei Straßennamen zu vergeben. Das böte auch die Möglichkeit, den hinteren Straßenteil nach den Schanzengärten zu benennen, während der zur Heiligengeiststraße gelegene dann durchaus Heiligengeisthöfe genannt werden könnte. Wenn es aber nur einen Straßennamen geben soll, ist nach dargelegter Auffassung immer das geschichtlich Originale vorzuziehen. Doch spricht überhaupt nichts dagegen, die neue Gebäudegruppe unabhängig vom Straßennamen als „Heiligengeisthöfe“ zu bezeichnen und dies auch durch einen Schriftzug an den Häusern kenntlich zu machen. Durch Verwendung des Flurnamens unter Einbeziehung des vom Investor bevorzugten Namens für die Gebäude entstünde der Stadt kulturell, stadtbildlich und auch nach Marketinggesichtspunkten („urbanes Wohnen/Handeln bei nahem Stadtgrün“) ein Mehrwert. Außerdem ließe sich so privatwirtschaftliches Engagement würdigen, ohne dabei wirtschaftlich legitimes Gewinnstreben als absoluten Maßstab zu begreifen und ihm so die Rolle des Heiligen Geistes zuzuschreiben, an den derart benannte Höfe doch eigentlich erinnern sollten.

Martin Teller, 4.2.2008

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Historische Wohntradition im Schlossgarten
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Alte Gärten, neue Höfe

 


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